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  • AutorenbildDominik Täuber

Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban

Aktualisiert: 25. Feb.


Ein Mädchen in einem Dorf in Bamiyan.
Ein Mädchen in einem Dorf in Bamiyan.

2021, kurz bevor die Taliban wieder die Macht übernommen haben, reiste ich als Fotograf zum ersten Mal nach Afghanistan. Rund zwei Jahre danach zieht es mich wieder in das Land am Hindukusch. Was hat sich seitdem verändert? Wie geht es den Menschen und meinem Guide Aarian*, mit dem ich die nächste Zeit unterwegs sein werde?

 

Ich liebe die Fotografie. Menschen und andere Kulturen kennenlernen und sie in ihrem alltäglichen Leben, auch unter schwierigen Umständen, porträtieren zu dürfen, ist meine Leidenschaft. Nach meiner ersten Reise durch Afghanistan im Juli und August 2021, während dem Abzug der US-Truppen sowie dem Vormarsch der Taliban nach Kabul, war es für mich schnell klar, dass ich eines Tages zurückwollte, in das kriegserschütterte Land mit seinen freundlichen Menschen und der reichen Kultur.


Begegnung mit Schafhirten.
Begegnung mit Schafhirten.

Und so sitze ich im Mai 2023 wieder im Flugzeug nach Kabul und frage mich, wie sich das Land verändert hat, wie es den Menschen geht, wie die Begegnung mit den Taliban verlaufen wird und wie sie auf mich, als Fotograf aus dem Westen, reagieren werden.

Wie vor zwei Jahren wartet Aarian vor dem Flughafen in Kabul auf mich. Er sieht gesünder aus, als ich ihn während unserer Reise 2021 in Erinnerung habe. Ruhiger, nicht mehr ganz so angespannt. Seine Augen leuchten nach wie vor voller Herzlichkeit. Ich spüre jedoch auch den Druck, der auf ihn lastet. Als Hazara, einer ethnischen und unterdrückten Minderheit, in einem so gefährlichen Land wie Afghanistan, unter dem Regime der Taliban zu leben, ist eine andauernde Belastung.

Nach einer herzlichen Begrüssung kommen wir sofort wieder ins Gespräch. Bevor wir über die anstehende Reise sprechen, tauschen wir uns über die Ereignisse von vor zwei Jahren aus, als wir während der Machtübernahme der Taliban zusammen unterwegs gewesen sind. Die Geschehnisse beschäftigen uns noch sehr.

 

Im Gegensatz zu damals hat sich die Sicherheitslage unter den Taliban nun deutlich verbessert, mein Aarian. Wir werden uns freier bewegen und die anstehende Reise grösstenteils mit dem Auto absolvieren können, was 2021 aufgrund der hohen Gewalt im Land nicht denkbar gewesen ist.

Unsere Route soll uns von Kabul nach Bamyan, dem Nationalpark Band-e Amir, weiter nach Kandahar, dem Hauptsitz der Taliban und schliesslich bis Herat, im Westen von Afghanistan gelegen, führen.

 

Für Aarian sind die letzten zwei Jahre nicht leicht gewesen. Er hatte praktisch keine Gäste mehr, die er durch das Land führen konnte. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Sehr viele Menschen leiden an Hunger. Als Taxifahrer konnte er den Lebensunterhalt für seine Familie aufrechterhalten. Ich gehöre zu den ersten Menschen, die er nun wieder durch das Land führt.

 

Bevor wir von der afghanischen Hauptstadt aufbrechen, besuchen wir noch einen Park in Kabul, der auf einem Hügel liegt und einen umfassenden Blick über die Stadt, mit ihren über 4 Millionen Einwohnern bietet. Es ist Freitagnachmittag und die Parkanlage ist mit Menschen überfüllt, davon grösstenteils Taliban, die mit zahlreichen Pickups ankommen und teilweise bewaffnet sind. Die Stimmung ist ausgelassen und die Menschen nicken mir freundlich, manchmal etwas überrascht zu. Jeder scheint die angenehmen, nicht zu warmen Temperaturen in der 1'800 Meter hochgelegenen Hauptstadt zu geniessen. Frauen und Mädchen sind jedoch keine zu sehen. Sie werden seit dem Regierungswechsel zunehmend vom öffentlichen Leben ausgegrenzt. Es ist für mich eine schwierige Situation, damit umzugehen und als Fotograf die Gegebenheiten zu akzeptieren, so wie sie sind.

 


Blick über Kabul.
Blick über Kabul.

Bamyan


Von Kabul fahren wir in Richtung Westen nach Bamyan. Unterwegs wechselt sich die Landschaft ab. Sanfte Hügel ziehen vorbei und Schafhirten mit ihren Tieren sind zu erkennen. Die Strasse verläuft zunehmend steiler und gibt spektakuläre Aussichten frei. Ein Gefühl der Weite kommt in mir auf.


Zwischen Kabul und Bamiyan.
Zwischen Kabul und Bamiyan.

Als wir schliesslich das Bamyan-Tal erreichen, verändert sich die Umgebung eindrucksvoll. Zerklüftete Felsformationen leuchten in der Nachmittagssonne. Neben der Strasse verläuft ein kleiner Fluss. Dörfer mit Lehmhäusern verzieren das Tal. Die Menschen, Frauen wie Männer, sind farbenfroh gekleidet. Die Schönheit dieser Gegend lässt sich schwer in Worte fassen.


Die ehmaligen Buddha-Statuen von Bamiyan.
Die Stätte der ehemaligen Buddha-Statuen von Bamiyan.

 

Teile Afghanistans galten einst als Zentrum des Buddhismus und in Bamyan standen bis 2001, als die Taliban diese zerstörten, zwei eindrückliche Buddha-Statuen mit 38 und 55 Metern Höhe.

Die Felsen mit den Höhlen sind immer noch sehenswert. Sie zeigen einerseits den einstigen kulturellen Schatz der Region und verdeutlichen anderseits die Intoleranz des damaligen Regimes, das heute wieder an der Macht ist.

 

Ich stelle mir vor, wie es für die ersten Reisenden gewesen sein muss, vor vielen Jahrhunderten einen kulturell so reichen Ort zu besuchen und kann nicht begreifen, dass Menschen in der Lage sind, so ein Kulturgut zu zerstören.



Blick über das Bamiyan-Tal.
Blick über das Bamiyan-Tal.

 

Band-e Amir

 

Wir fahren weiter zum Nationalpark Band-e Amir, ein Stück weiter im Westen und mit rund 2'900 Metern über Meer hoch im Hindukusch gelegen. Das letzte Stück führt über eine staubige Strasse und mit einem Mal öffnet sich der Blick auf die tiefblauen Seen. Dort angekommen, wandern wir durch das Tal sowie auf einem aussichtsreichen Pfad, über den Seen gelegen. Das Panorama und die Schluchten erinnern mich an die Nationalparks im Mittleren Westen der USA. Wir treffen vereinzelte Besucher, überwiegend Familien und es tut gut zu sehen, dass die Menschen Zugang zu so einem schönen und wohltuenden Ort haben.

 

 


Der Band-e Amir Nationalpark.
Der Band-e Amir Nationalpark.

 

Kandahar

 

Das nächste Ziel unserer Reise ist Kandahar, einst von Alexander dem Grossen gegründet und der spirituelle Hauptsitz der Taliban. Die Strasse von Kabul nach Kandahar galt einst als eine der gefährlichsten der Welt. Es musste jederzeit mit Überfällen und Kampfhandlungen gerechnet werden. Diese Gefahren sind nun vorbei und wir können die Strecke in einer Tagesfahrt bewältigen.

 

Bevor wir uns in Kandahar frei bewegen dürfen, muss ich beim örtlichen Büro für Kultur vorsprechen und eine Erlaubnis einholen, was problemlos verläuft.

 

Wir besuchen das  Mausoleum von Mirwais Hotak, einem afghanischen Stammesführer und Gründer der gleichnamigen Hotak-Dynastie. Wie so oft in Afghanistan und auch dem Iran beeindruckt mich die Architektur der Grabkammer mit ihren Mosaik-Verzierungen.


Eine Gruppe Jugendlicher wird auf mich aufmerksam und nähert sich neugierig. Wir tauschen herzliche Blicke aus und ich beginne sie zu fotografieren. Sie haben grosse Freude und obwohl wir uns aufgrund der verschiedenen Sprachen nicht verständigen können, verstehen wir uns auf Anhieb. Ich mag solche Begegnungen, denn mit meinen Bildern kann ich so eine weitere Seite von Afghanistan zeigen, die man nicht oft in den Medien sieht.


Eine Gruppe Kinder und Jugendlicher in Kandahar.
Eine Gruppe Kinder und Jugendlicher in Kandahar.

 

Herat

 

Die Reise neigt sich dem Ende zu und diesmal erfüllt sich mein Wunsch, Herat besuchen zu dürfen. 2021 war dies aufgrund von Kampfhandlungen nicht möglich.

Während der Fahrt durch die Provinz fahren wir an grünfarbenen Weizenfeldern vorbei, die einen faszinierenden Kontrast zur Wüstenlandschaft bilden. Ich erinnere mich an Schilderungen aus einem Buch vom afghanisch-amerikanischen Autor Khaled Hosseini, der die Landschaft um Herat genau so beschrieben hat.

 

Die Oasenstadt ist mit über 500'000 Einwohnern die drittgrösste Stadt in Afghanistan und beherbergt neben der Zitadelle den Musallah-Komplex mit seinen markanten Minaretten. Es sind beeindruckende und faszinierende Stätten alter Kulturen, weit vor Christi Geburt, zu Zeiten Alexander des Grossen. Es erstaunt mich immer wieder, wie intakt solche Bauwerke noch sind und ich fühle mich jedes Mal in die damalige Zeit zurückversetzt.

 

Mit Herat endet meine zweite Reise durch Afghanistan und der Abschied von Aarian und den anderen Guides fällt mir wieder nicht einfach. Während ich in mein sicheres Zuhause zurückkehren kann, lasse ich sie in einem kriegserschütterten und armen Land zurück, dessen Zukunft mehr als ungewiss ist.


Der Musallah-Komplex mit den Minaretten in Herat.
Der Musallah-Komplex mit den Minaretten in Herat.

Ein Glasbläser in Herat.
Ein Glasbläser in Herat.

*Name wurde geändert.

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