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Ostanatolien

Aktualisiert: 21. Feb. 2018


Irgendwo zwischen Tourismus und Krieg

«Sind Sie wirklich als Tourist hier?» fragt mich verwundert der Rezeptionist.

All zu viele westliche Gäste scheint es demnäch im südöstlichsten Teil der Türkei, im Grenzgebiet zum Irak und Iran, nicht zu geben. Seit Jahrzehnten tobt hier ein blutiger Konflikt zwischen kurdischen Kämpfern und türkischen Sicherheitskräften. Zehntausende Menschen verloren dabei ihr Leben. Immer wieder kommt es zu Anschlägen und Feuergefechten.

Doch es war nicht unbedingt diese Auseinandersetzung, welche mich ursprünglich motiviert hat, in diese Region zu reisen. Durch einen Bericht auf zeit.de («Dann fahr'n wir raus zum Vansee», 16. Dezember 2010) bin ich auf die landschaftliche Schönheit und kulturelle Vielfalt Ostanatoliens aufmerksam geworden. Wenige Monate später, im Oktober 2017, sass ich im Flugzeug und flog via Istanbul nach Van und an den gleichnamigen See, welcher der grösste der Türkei ist.

Als Fotograf wollte ich Land & Leute kennenlernen und mir somit ein eigenes Bild machen.



Der Vansee

Es ist fast schon zu warm für diese Jahreszeit. Der kühle Wind, welcher mir auf der rund zwanzigminütigen Schifffahrt zur Insel Akdamar ins Gesicht blässt, tut gut.

Auf dem Boot befindet sich noch eine Gruppe Studenten, welche sich sofort für mich interessieren. Mit etwas Englisch und Hilfe von einem Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone können wir uns verständigen. Sie haben sichtlich grosse Freude, dass ich ihr Land, Kurdistan, wie sie es nennen, besuche. Das obligatorische Gruppenfoto mit dem Gast aus dem Westen darf natürlich nicht fehlen.


Dort stehe ich nun. Unscheinbar und doch voller Pracht thront die armenische Kirche zum Heiligen Kreuz über den Vansee. Sie wurde ursprünglich im Auftrag eines Königs von Vaspurakan, dem damaligen armenischen Reich, errichtet. Heute ist sie die Hauptsehenswürdigkeit am Vansee, beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv.

Neben Türken kommen auch viele Iraner aus dem nahen Nachbarland zu Besuch.

Auf meiner Tour nahe des Sees besuche ich noch in Van die Festung, welche auf einem Felsmassiv über der Stadt ragt sowie die Gräber von Ahlat. Es sind jedoch besonders die Menschen, denen ich meine Reise widmen möchte.



Willkommen

Schafe, Schafhirten und Schafwolle, soweit das Auge reicht. Während meinen täglichen Begegnungen mit den Leuten vor Ort, überwiegend Muslime, treffe ich vor allem auf zahlreiche Schäfer. Immer, wenn sie mich sehen, kommen sie herzlich auf mich zu und wünschen, dass ich sie fotografiere. Ich werde häufig zum Essen und Trinken eingeladen und sitze mit ihnen ums Lagerfeuer. Sprachlich können wir uns fast nicht verständigen. Die Mimik und Gestik, die grosse Gastfreundschaft, sagen jedoch mehr als jedes Wort.


Während eines Ausflugs in den Krater des Nemrut Daği treffe ich auf eine Gruppe von Männern, welche um ein Feuer sitzen. Kaum haben sie mich erblickt, winken sie mich zu ihnen. Etwas zögerlich schliesse ich mich der Gruppe an und werde sofort zu Tee und Essen eingeladen. Mit etwas Englisch können wir uns austauschen. Sie kommen aus Istanbul und besuchen die Gegend. Wir unterhalten uns über die Schönheit der Region aber auch den Konflikt vor Ort. Sie freuen sich zutiefst, dass ich ihr Land besuche, gerade jetzt, wo in Deutschland hinsichtlich Politik doch bestimmt kein gutes Bild von der Türkei herrscht.



Der Konflikt vor Ort

Je weiter südlich ich reise, insbesondere in die Region um Hakkari und Yüksekova, desto mehr treffe ich auf türkisches Militär. Immer wieder kommt es in diesen Gebieten zu Bombenanschlägen und Gefechten.

Bei den zahlreichen Sicherheitskontrollen werde ich zuerst etwas skeptisch empfangen und muss teilweise vor Generälen meine Motivation darlegen, warum ich als Fotograf so weit in kurdische Gebiete reisen möchte. Viele Orte und teilweise sogar ganze Täler sind nur durch Militärposten zu erreichen. Teilweise dürfen sie nur tagsüber aufgesucht werden. Nachts herrscht Polizeisperre.

Die Kontrollen, welche ich täglich passiere, können teilweise viel Zeit in Anspruch annehmen. Nach dem man im Auto erster in der Warteschlange ist, erhält man ein Zeichen in eine Art Schutzkorridor, welcher von dicken Betonwänden eingezäunt ist, zu fahren. Dort folgt die Ausweiskontrolle und Befragung wohin man mit welcher Motivation reisen möchte.

Trotz der angespannten Lage werde ich äusserst freundlich behandelt und mehrmals eingeladen, einen Tee mit den Soldaten zu trinken oder mich gleich mit ans Feuer zu setzen und gemeinsam zu essen. Vermutlich bin ich einfach auch eine interessante Abwechslung und biete etwas Unterhaltung in Angesicht des angespannten Alltags.



Neugier

Dies spüre ich vor allem in den Dörfern Ostanatoliens. Ich laufe durch die kleine Siedlung Güzelsu. Viele Häuser sind zusammengefallen. Würde nicht ab und an eine Wäscheleine vor dem Haus hängen, könnte man meinen, dass der Ort verlassen sei. Da erblickt mich ein junges Mädchen von ihrem Fenster aus. Etwas zögerlich kommt sie heraus, winkt mir zu und begrüsst mich. Es dauert nicht lange und ich bin die Attraktion des Tages. Die Dorfgemeinschaft versammelt sich um mich und heisst mich herzlich willkommen. Es ist deutlich zu spüren, wie sich die Menschen mit mir austauschen möchten. Leider hakt es an der fehlenden, gemeinsamen Sprache.



Islam

Die Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Menschen mir gegenüber, einen Fremden aus dem Westen, hat mich tief beeindruckt. In der allgemeinen Berichterstattung und in der Meinung vieler Menschen bei uns kommen der Islam und die Muslime nicht immer so gut weg. Es wird häufig mit Vorurteilen und Verallgemeinerungen argumentiert, welche die Muslime uns Menschen im Westen gegenüber haben. Auch dies war für mich Grund, in ein islamisches Land zu reisen und mir selbst ein Bild vor Ort zu machen.


Ostanatolien mag nicht gerade eine typische Urlaubsdestination sein. Wer jedoch unvoreingenommen dorthin reist, sich an allgemeine Sicherheitsbestimmungen hält, der kann wundervolle Begnungen und Erfahrungen mitnehmen.


Besuchte Regionen & Orte:

Van, Görecek, Caldiran, Gevas, Göründü, Altinsac, Hizan, Tatvan, Ahlat, Bitlis, Catak, Cavustepe, Güzelsu, Hakkari, Yüksekova


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