Durch das alte Persien reisen zu dürfen, ist eine der schönsten Reiseerfahrungen überhaupt gewesen. Eine beeindruckende Kultur und Architektur sowie äusserst gastfreundlichMenschen lassen die Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
Vorurteile?
«Hat es dort nicht Krieg?» «Ist das nicht gefährlich?» «In so ein islamisches Land würde ich mich nicht trauen.»
Die Reaktion meiner Mitmenschen, als ich ihnen von meinem Vorhaben, in den Iran zu reisen, erzählte, haben mich nicht zu sehr überrascht.
Wir leben in einer Zeit der Verunsicherung und auch Unwissenheit. Die Nachrichten der Medien beziehen sich eher auf negative Inhalte. In Teilen unserer Gesellschaft wird nicht mehr differenziert. Wir hinterfragen nicht mehr, nehmen Meldungen unkritisch auf und verallgemeinern. Ganze Völker, Länder und Religionen werden mit Vorurteilen behaftet. Die Stimmung gegenüber dem Islam und den Muslimen ist angespannt. Negative Einzelmeldungen entfachen das Feuer weiter und geben politischen Akteuren aller Richtungen eine Plattform für ihre jeweilige Botschaft.
Nach meinen positiven Reiseerfahrungen mit den Menschen im Osten Anatoliens, nahe der iranischen und irakischen Grenze sollte mich meine nächste Reise nun durch die Islamische Republik des Iran führen. Was ist das für ein Volk im alten Persien, umgeben von Nachbarländern wie dem Irak und Afghanistan?
Begegnungen
«Welcome to Iran, welcome to Esfahan»! singt ein freundlich dreinblickender Mann. Er singt tatsächlich, nimmt mich an den Arm und platziert mich in der Mitte der versammelten Menschen unter der ‚Chadschu-Brücke’ (Pol-e Chādschu / Kajoo-Bridge), eines der Wahrzeichen von Isfahan.
Die Brücke ist ein beliebter Treffpunkt, um der Hitze zu entfliehen, Gesellschaft zu haben und Neuigkeiten auszutauschen. Viele ältere Männer singen zudem Lieder und werden mit Beifall belohnt.
Sofort werde ich von mehreren Leuten freundlich angesprochen. Sie freuen sich sichtlich von Herzen, dass ich ihr Land und ihre Stadt besuche und sind an meiner Person und Geschichte sehr interessiert.
Viele Iraner und Iranerinnen möchten ein Foto mit mir machen. Auf die Frage, was denn mit all den Bildern nun passiere, antworten sie mir, dass sie diese ihren Freunden und ihrer Familie zeigen werden, damit diese sehen, dass es immer noch Leute aus dem Westen gibt, welche in ihr Land kommen. Sie wissen, dass viele Menschen mit dem Iran und dem Islam eher Negatives verbinden und teilweise sogar Angst haben. Aus den Gesprächen spüre ich heraus, wie sehr sie es belastet und traurig macht. Umso herzlicher wird man dafür als Gast empfangen.
Jeden Tag führe ich zahlreiche Unterhaltungen, werde liebevoll angesprochen, zum Essen eingeladen und darf mich für das ein oder andere Foto zur Verfügung stellen. Vor Moscheen wird mir zugewinkt und ich werde gebeten, in das innerste der Religionsstätte mitzugehen und mir die prächtige Architektur anzuschauen.
In den zahlreichen Parkanlagen der Städte sitzen die Einheimischen, besonders Familien mit ihren Kindern bis spät in den Abend zusammen und geniessen ein Picknick. Ich kann praktisch keine 20 Meter laufen, ohne nicht eingeladen zu werden, mich zu ihnen zu setzen. Kinder kommen auf mich zu und bringen mir kleine Köstlichkeiten zum probieren.
In der Hauptstadt Teheran nimmt sich eine junge Künstlerin, eine Malerin, mehrere Tage Zeit für mich, fährt mich durch ihre Stadt und zeigt mir die schönsten Parkanlagen und Kunstgalerien. Sie holt mich von meinem Hotel ab und bringt mich abends zurück. Wir tauschen uns über unsere verschiedenen Leben aus. Lachen gemeinsam. Geniessen den Augenblick. Sie liest mir Gedichte von Saadi und Hafiz vor, lässt mich traditionelle, persische Musik hören und einheimische Gerichte probieren.
Ich werde praktisch auf Händen durch das Land getragen. Es wirkt fast schon surreal, wie ein Märchen aus Tausendundeine Nacht. Oder bin ich einfach schon etwas abgestumpft und weiss mit so viel Herzlichkeit nicht mehr umzugehen?
Die Islamische Republik
Seit der islamischen Revolution 1979, als der letzte Schah, Reza Pahlavi, aus dem Land geflohen ist und Revolutionsführer Ajatollah Chomeini als Staatsoberhaupt folgte, wird das Land als islamischer Gottesstaat geführt. Die Scharia, ungefähr als eine Wegleitung der Pflichten und Verbote jedes Einzelnen zu verstehen, wird teilweise streng kontrolliert.
Eine Situation ist mir besonders geblieben. Ich befinde mich auf dem Borj-e Milad, einem Fernsehturm und mit 435 Metern das höchste Gebäude von Teheran. Ganz oben befindet sich eine Aussichtsplattform, welche einen beeindruckenden Blick über die Stadt bietet. Vor mir laufen zwei Frauen, wunderschön gekleidet, volles Haar, das Kopftuch praktisch nur noch als hoher Schal bis zum Hinterkopf getragen. Da kommt ein Polizist zu ihnen, spricht einen knappen Satz und zeigt auf ihre Köpfe. Sofort ziehen sie ihre Kopftücher höher über ihre Haare, bis in die Mitte des Scheitels. Die öffentliche Ermahnung ist ihnen sichtlich unangenehm.
Der Zauber des Orients
Als ich vor meiner Reise an den Iran dachte, hatte ich auch immer ein Bild von Persien im Kopf. Die Seidenstrasse. Basare. Gewürze. Ein Meer aus Farben und Gerüchen. Orientalisch klingende Musik und viele weitere Klischees.
Kann man heutzutage, in der schnell voran schreitenden und zunehmend digitalisierten Welt, die auch vor dem Iran keinen Halt macht, überhaupt noch so eine Atmosphäre, so ein Gefühl wahrnehmen und erleben?
Ja, zumindest für mich war und ist es möglich.
Es ist, wie gewohnt, ein sehr warmer Abend. Ich laufe über den Königsplatz, Meidan-e Emam/Naqsch-e Dschahan, in Esfahan. Die monumentalen Gebäude, welche dem Platz seine rechteckige Form geben, die Moschee, die Arkaden mit dem Basar - sie alle sind wundervoll beleuchtet. Ich weiss gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Überall versammeln sich Menschen, Familien, Freunde. Sie machen zusammen Picknick, geniessen die Gesellschaft und die einmalige Atmosphäre des Platzes. Meine Nase nimmt die unterschiedlichsten und wohlriechendsten Düfte der zubereitenden Speisen auf. Aus den Lautsprechern erklingt der Muezzin, der Ausruf zum Gebet. Die Menschen schauen mich neugierig und liebevoll an, reichen mir Essen. Ich bekomme Gänsehaut. So habe ich mir das Morgenland vorgestellt. Ich bin tatsächlich im Orient angekommen.
Zukunft ungewiss
Der Iran ist ein weitgehend isoliertes Land und wird zurzeit, insbesondere durch die USA, vermehrt sanktioniert. Als Fotograf möchte ich lediglich dokumentieren und mich nicht auf eine politische Diskussion einlassen. Ich möchte Eindrücke aus dem alltäglichen Leben zeigen. Ich wünsche mir, dass wir zwischen Volk und Regierung differenzieren, dass wir nicht vergessen, dass die Mehrheit der Menschen in Frieden mit uns leben möchte.
Die Menschen im Iran, welchen ich begegnen durfte, waren voller Offenheit, Interesse und Herzlichkeit. Sie sind sehr an uns und unserer Kultur interessiert und wünschen sich einen Austausch frei von Vorurteilen. Man kann ihnen nur alles Gute wünschen.
Besuchte Orte:
Shiraz, Yazd, Esfahan, Teheran
Reiseinformationen Iran
Genügend Bargeld (Euro) mitnehmen und am Flughafen oder in Hotels tauschen. Es ist nicht möglich, weiteres Geld im Iran zu beziehen. Kreditkarten können nicht verwendet werden.
Teilweise kann man sich einfach auf Englisch unterhalten. Manche Leute können sogar etwas Deutsch. Häufig sprechen die Menschen jedoch nur Persisch, Farsi genannt.
Die Kleiderordnung sollte auf jeden Fall eingehalten werden. Ich war mit langen Hosen und dezenten Hemden unterwegs. Frauen tragen ein Kopftuch.
Vor Versammlungen und Demonstrationen hält man sich am besten fern. Ich bin in Teheran ausversehen in eine Demonstration von Lehrern geraten und wurde sofort, auch wegen meiner Kamera, kritisch von Polizisten beobachtet. Anwesende Personen haben die Situation sofort erkannt und mich aus der Menge geführt.
Generell gibt man Frauen bei der Begrüssung nicht automatisch die Hand, da dies nicht unbedingt der Scharia entspricht und zu peinlichen Situationen führen kann. Man wartet ab, ob sie sich entscheiden, einem Mann die Hand zu geben. Mir haben jedoch die meisten Frauen gleich die Hand gereicht und ich wurde häufig neugierig angesprochen.
Vorurteile zu Hause lassen und auf geht's :-)
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